Liebeshunger in der Landschaft

Ursula Hübner

 
Museen sind Orte, in denen Ruhe und Erregung in einem ausgewogenen und verlässlichen Maße eintreten. Vor allem die Museen, die sich den klassischen Kunstgattungen verschrieben haben: gemalte Bilder, Skulpturen, Fotografien; diese Werke, die im poetisch-sinnlichen, flüssigen Geist entstanden sind. Wie angenehm flaniert es sich durch die Epochen und Genres der Kunst!

Die Landschaftsmalerei ist eine meiner Lieblingsgattungen in der Bildenden Kunst und natürlich gibt es da besondere Vorlieben. Landschaften mit und ohne Figuren. Sind die gemalten Figuren nackt, dann sind die Kunstwerke entweder sehr alt, oder zeitgenössisch. Sind sie sehr alt, dann handelt es sich um allegorische Figuren, weibliche Naturgottheiten und dergleichen. Wirken sie liebeshungrig, dann handelt es sich um Nymphen. Diese lebten in den Bergen, dem Wald, mit Bäumen, an Quellen und sie warteten auf das Liebesgeschehen. Sie ließen sich mit jedem ein, der ihren Weg kreuzte und sie waren besonders schön.

Angeblich stammte das erste Landschaftsbild vom Venezianer Giorgione, „Das Gewitter“. Bis heute weiß man nicht genau, was es eigentlich darstellt, das heißt, es ist nicht klar, wen es zeigt und was diese Figuren, eingebettet in Licht und Farbe, verkörpern. In diesem Bild verschmilzt aber tatsächlich mehr als jemals zuvor die Figur mit der Landschaft. Die Landschaft ist das Thema! Plötzlich denkt man an Landschaft und nicht an Landschaft als Beiwerk einer Szene. Als ich das erste Mal die „Ständerfotos“ von Gelitin sah, war ich, im natürlichen Reflex, vom steifen Teil des Mannes abgelenkt. Und doch weiß ich, dass ich damals die Landschaft als eigentliche Hauptsache sah und die Verschmelzung von Figur und Landschaft wirkte!

Schauen wir im Detail:

Eine männliche Nymphe in roten Kniestrümpfen: die blaue Schlucht im Hintergrund - ein drohender Abgrund – hilft der warme Farbton des Requisits den Mann W. „dazuhalten“, Emotion und Kalkül wurden so wirkungsvoll genutzt. Das sind übrigens Qualitäten, die im Werk dieser Künstler immer wieder verläßlich auftauchen. Dann eine andere Szene: ein Mann F. im Hochgebirge: allein, nackt und mit steifem Glied, in der Pose eines röhrenden Hirschen. Die Einsamkeit der Bergszene hat etwas „romantisches“, Natur als mystisch religiöse Projektion, wie bei Caspar David Friedrich. Doch hier: eine Erektion und das lässt dann wieder einem anderen Faden freien Lauf, der uns eher zum Filmer Russ Meyer (UP!), in gewisser Weise auch ein Landschaftsmaler, führt.
Friedrich Nietzsche sagte, dass man nur jenen Gedanken trauen kann, die man in der Natur gefasst hätte. So kann ich mir lebhaft vorstellen, dass diese Landschaftserkundungen von Gelitin mehr erzeugten, als Schwellungen des Geschlechts.

Ich werde sie danach fragen, wenn ich sie wieder treffe.

In der Zwischenzeit gehe ich ins Museum auf der Suche nach Weite und Intimität!


Ursula Hübner, Wien, im Jänner 2008