Max Goldt, Berlin, im Jänner 1992
Mantel aus Mühlheim, Hose aus Fürth, Hemd aus Göttingen, kratziger Pulli aus Essen, an Mal-Ursel denkend, wie sie in Wien Kleider, die irgendwo her sind, malt, so ging ich gestern durch Berlin. Ein einzelner Fäustling lachte auf einer Hecke, ein Schal lag wie gewürgt in einer Schmelzwasserlache, und ein heimatvertriebener Einkaufswagen barg ein grüßendes Mützchen. Dann trank ich, dann schlief ich, dann wachte ich auf und dachte als erstes: Die Fürther Hose stinkt jetzt genug, ich zieh heut mal sie andere an: aus Köln. Einkaufsstraßen in aller Welt haben mir Kleider aufgedrängt. Neulich trug ich, seit langem mal wieder, das Klettverschlusshemd aus Boston. Kaum dass ich drin war, sah ich mich, Interesse heuchelnd durch eine Renoir Ausstellung laufen und schmeckte Karottentorte im Mund. Das Parken im Parkhaus hatte acht Dollar gekostet, das fand ich damals happig. Kein Waschmittel tilgt Erinnerungen, die man in Kleidung geschwitzt hat. Den Mühlheimer Mantel hab ich mit Ursel gekauft. Einmal warf ich ihn in die Luft, worauf er auf dem Teppich lag und guckte. Ich schickte Ursel ein Foto. Guck mal, Ursel, schrieb ich dazu, hier guckt unser Mantel so wie der Fisch auf dem Böcklin-Gemälde Der heilige Antonius predigt den Fischen. Ursel genoss und verstand, denn sie weiß, dass Kleidung guckt, wenn man es nur will. Ursel wollte es schon früh. Vor langer Zeit, als sie gerade nichts rechtes mit sich anzufangen wusste, reiste sie zu ihrem Salzburger Vaterhaus, wo sie alle ihre Jugendjacken aus den Schränken riss und in Plastiktüten stauchte. Ich kann und will nicht Sackerl sagen. In Wien goss sie die Jacken auf den Boden ihres Kabinetts. Ein vielköpfiger Kreis kommentierender kam zu Besuch und taufte das Kind auf den Namen Salzburger Jackenhaufen. Die Jacken wurden gezeichnet, gemalt und zum Gegenstand von Gedichten gemacht. Eine Künstlerkolonie entstand. Das war mein Monte Verita, sagt Ursel heute mit einem Lächeln, das man nur wenigen Frauen gerne verzeiht. Nachdem eines Tages eine Gruppe polnischer Staatsbürger als Indios verkleidet den Jackenhaufen umlagert und ihn angeflötet hatten, entschied Ursel, dass alles mal ein Ende haben müsse, und gab die Jacken weg. Doch wird sie weiter durchflutet vom warmen Verlangen nach Kleidung, die guckt. Ich auch übrigens. Große Dame des Mantelmalens, hätte ich die Macht zu segnen, ich segnete deinen Pinsel! |
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